Im Sommer 2017 landete die Raumstation mit der ZitronenPresse auf Geras Neuer Mitte und sammelte Geschichten über die Stadt und die Freifläche.
Gera drückt sich aus: Im Rahmen unserer experimentellen Raumerkundungen in den Bausteinen Sehen, Schreiben, Sprechen und Spielen fragten wir „Was verbindest Du mit diesem Ort?“ Wir stießen Gespräche an, die unerwartet viele Themen eröffneten und die hohe Identifikation der Gerschen mit dem Vergangenen zeigten.
Das Café Rendezvous in Geras Mitte, aufgrund der Form des Pavillons liebevoll Zitronenpresse genannt, war nicht nur in baukultureller Hinsicht ein Symbol ihrer Zeit, sondern auch ein identitätsstiftendes Bauwerk, das die Fläche vor dem KuK zu einem bedeutungsvollen Ort machte. Geras Mitte ist nun Leerstelle und Bruchstelle zugleich. Sie zeigt eine gesamtstädtische Verschränkung unterschiedlichster Erinnerungen und Entwicklungen: Erinnerungen an die DDR-Geschichte, an die herausragende Stellung der damaligen Bezirkshauptstadt sowie an Einschränkung und Entbehrung. Erinnerungen an die Nachwendezeit, an neue Möglichkeiten und das Verschwinden von Vertrautem. Erinnerungen an die vergangenen Jahre, an Arbeitslosigkeit und Langeweile sowie an gesellschaftliche Initiativen und räumliche Qualitäten. Doch welche Identität hat Gera heute? Und welche Symbolik wird dieser Identität künftig Ausdruck verleihen?
Im Baustein Spielen, einem Modellspiel, konnten auch Kindern ein Gefühl für Größen, Entfernungen, Baukörper und Räume erproben. Der Baustein Sprechen fing Stimmen und Geschichten der Geraer:innen ein. Der Platz sollte wieder als Kommunikationsort wahrgenommen und erlebbar werden, weshalb Audiosampels gesammelt und abgespielt wurden, die daraufhin visuell in Form von Zeichnungen und Texten transportiert wurden. Bereits eine Woche vor dem eigentlichen Start begann mit dem Baustein Schreiben eine Postkartenaktion. Um die Hemmschwelle möglichst niedrig zu halten, war es so möglich, Gedanken anonym zu notieren und sie in einen Briefkasten zu werfen. Aus den Postkarten wurden erste Fragestellungen und Ideen herausgearbeitet, die in der Woche selbst diskutiert werden sollten. Im Baustein Sehen wurden mithilfe der Fotografie sollen neue Blickwinkel auf den Platz geworfen und die Raumwahrnehmung geschult. In einem Workshop wurden Aufnahmen gemacht, die gemeinsam ausgewertet und in einem Fotoessay verdichtet wurden.
Geras Neue Mitte kann Kristallisationspunkt Geraer Geschichte und Zukunft sein – und diesem Potenzial wollen wir auch künftig einen Rahmen geben. Unser Mandat war von Beginn an selbstgewählt und soll es bleiben: Wir wollen weder als Problemlöserin noch als Akteur innerhalb des städtebaulichen Planungsprozesses auftreten. Dieses hohe Maß an Freiheit war möglich, weil Geras Neue Mitte unserer Ansicht nach eine Leerstelle darstellt, die für programmatische Selbstverantwortung und neue Rollen innerhalb gängiger Planungsprozesse steht. Für dieses Stück Selbstverantwortungsland gilt es im Sommer 2018 den nächsten Schritt zu gehen und einen situativen Rahmen zu schaffen, der Geras Geheimnis in einer temporären und wachsenden Art und Weise zu visualisieren versucht. Können wir in Gera erfinden, wie Städte anders geplant werden?
Die ZitronenPresse war Teil des IBA-Projekts Geras Neue Mitte. 2019 führte die Raumstation mit dem Projekt GERANIEN die Arbeit in Gera weiter.