In Berlin wurden ganze Kieze autofrei durch eine fast vergessene klimaaktivistische Komplizin – die Marderbande. Eine Teilnehmerin der Marder Anti Auto Fraktion erzählt von ihrem ersten Mardermobilisierungstraining. Während ich kniend versuche mit meinen matschigen Händen eine Kuhle aus dem Boden zu heben und mir der Geruch von moderiger, nasser Erde in die Nase steigt, denke ich an die zahlreichen Kämpfe um genau diesen Boden hier an meinen Händen.
Ich denke an die neuen Immobilien der internationalen Investoren und die alternativen Räume, die verschwunden sind. Wo ich mich befinde? Berlin-Kreuzberg ist mein Zuhause. Wrangelstraße, Ecke Audre-Lorde-Straße. Mein Lieblingsort ist hier dieser Innenhof in einem großen Gründerzeitblock. Nach dem zweiten Hinterhaus gelange ich in den großen, von Bäumen, Büschen und Pflanzen durchwachsenen Garten. Andächtig schiebe ich die Erde wieder zurück in die Kuhle. Wie viel dieser Boden hier wohl wert ist?
Dieser Hinterhof ist nicht nur ein Ort zur Besinnung, er birgt ein Mahnmal, das mich immer wieder daran erinnert, wofür ich weiter kämpfen möchte.
Zwei Jahre später bahne ich mir erneut einen Weg durch die Dunkelheit eines Herbstabends. Die Fassaden der Häuser, die den Garten rahmen, verschwinden hinter dem dunkelgrünen Dickicht. Langsam taste ich mich vor und gelange schließlich an eine Stelle, die von Pflanzen befreit wurde. So schön dieser Ort auch ist, lässt er mich immer über die Vergänglichkeit nachdenken. Mein Blick richtet sich auf die Steinkonstruktion mit Holzkreuz, leicht verdeckt von gelblich schimmernden Herbstblättern. Doch im weißen Licht meiner Taschenlampe ist es dennoch klar erkennbar: Das Grab von einem Marder, Tesla war ihr Name.
Im Herbst 2019 habe ich sie hier begraben und kehre regelmäßig zurück, um mich an ihre zahlreichen Aktionen zu erinnern, die Stadt autofrei zu machen. Ihre Bisse durch widerspenstigste Kabel und ölige Leitungen bewiesen ihre Entschlossenheit im Kampf gegen das Auto: im Kampf für autofreie, madergerechte Städte für alle. Warum haben wir eigentlich erst so spät bemerkt, dass ein Marder eine Art Klimaaktivist ist, beziehungsweise ein klimaaktivistischer Komplize? Dieser Hinterhof ist nicht nur ein Ort zur Besinnung, er birgt ein Mahnmal, das mich immer wieder daran erinnert, wofür ich weiter kämpfen möchte. Außerdem zeigt dieser Ort, wie ein lebenswertes Miteinander in den Städten sein kann. Menschen treffen sich hier. Klein und groß spielen miteinander. Kein Lärm von Motoren ist mehr zu hören. Früher drang selbst bis hier noch das dumpfe Dröhnen der Motoren.
Ich schließe die Augen und versuche mich an damals zu erinnern. Schaffe ich es mich in die Lage eines Marders zu versetzen? Ich klettere in meiner Imagination die Bäume hoch, springe graziös über die Balkone und die Dächer Berlins. Wenn ich runter schaue, dann erkenne ich sie wieder funkelnd in der Abenddämmerung. Von hier oben wirken sie harmlos. Sie stehen ja ohnehin den ganzen Tag nur herum – 23 Stunden eines Tages nur auf dem Parkplatz! Unerklärlich, wie wir so viel Platz für diese Kisten verschwenden konnten.
In Erinnerung mache ich mich vom Dach aus auf den Weg zum Görlitzer Park. Dort nahm ich an dem ersten Mardermobilisierungstraining der Marder Anti Auto Fraktion (MAAF) teil. Schließlich beginnt jährlich am 16. Oktober die offizielle Jagd auf Marder. In Solidarität zu allen getöteten Mardern in der urbanen Wildnis versuchten wir uns in der MAAF den Praktiken des Marders anzunähern, ihn zu verstehen und ihn im Kampf, das Auto aus der Stadt zu verdrängen, zu unterstützen.
Hier hatte der Marder seine klimapolitische Agenda bereits umsetzen können: Der Kiez ist weitgehend befreit vom Automobil!
Wir näherten uns dem Marder dabei aus verschiedenen Richtungen. Auf der Skalitzer Straße wurden wir mit der akuten und aktuellen Bedrohungssituation für Marder konfrontiert. Eine lange breite Straße, in beiden Richtungen mehrspurig für die immer breiteren Automobile ausgebaut, zwischen den Richtungen die Hochbahn: Ein fast unüberwindbares Hindernis für die Marder. Das schnelle Vorbeirauschen der Autos erschwerte auch das akustische Verständnis unter den Teilnehmenden und zeigte, unter welchen schrecklichen Bedingungen die Tiere ihrem Alltag nachgehen mussten und dabei immer mehr zurückgedrängt wurden.
Doch wie sieht das ursprüngliche Habitat eines Marders eigentlich aus? Nicht weit der Skalitzer Straße erschlossen wir Teilnehmenden uns ein Gebiet, das dem natürlichen Lebensraum des Marders nahe kommt: Der Görlitzer Park. Eine junge intellektuelle Aktivistin der MAAF gab der Gruppe einige hilfreiche Tipps, während wir uns von den Park-Terrassen mit Nachtsichtferngläsern in der Hand eine gute Aussicht auf Marder in ihrem natürlichen Lebensraum erhofften. Wir erfuhren, dass Marder der Familie hundeartiger Raubtiere angehören. Zu ihnen zählen auch Otter, Dachse, Iltisse, Nerze und Wiesel. Für uns spielen aber vor allem die Stein- und Baummarder eine Rolle. Die meisten Marder erkennt man an einem langgestreckten, schlanken und geschmeidigen Körperbau. Noch zeigte sich aber kein Marder.
Mit dem verbesserten Verständnis für die Anatomie des Marders und sein naturgemäßes Verhalten im Görlitzer Park erschlossen wir uns innerhalb des Mobilisierungstrainings daraufhin das weitere Gebiet des Wrangelkiezes. Denn hier hatte der Marder seine klimapolitische Agenda bereits umsetzen können: Der Kiez ist weitgehend befreit vom Automobil! Eigentlich sind Marder einzelgängerische Tiere, in diesem Fall jedoch haben sich mehrere Marderbanden zusammengeschlossen, was in der Natur bisher sehr selten beobachtet worden ist. Wir hatten es hier also mit einem außerordentlichen Revier zu tun. Zur territorialen Abgrenzung ihre Reviergrenzen nutzten Marder ein Sekret ihrer Analdrüsen. Auch hilft ihnen dabei ihr stark ausgeprägter Geruchssinn, der Ölgerüche besonders gut aufspüren kann und den Feind somit rasant ausfindig macht.
Um die aktivistischen Methoden des Marders nun besser nachvollziehen zu können und von ihm zu lernen, wurden wir aufgefordert das Revier genauer zu untersuchen. Jede Gruppe sollte ausrechnen, wie viel Lebensraum durch die Verdrängung des Autos dazu gewonnen wurde. Wie ich meine Rechenaufgabe löste? Für ganz Berlin rechnete ich also: Es gibt 1,3 Millionen zugelassene Fahrzeuge in Berlin. Ein Fahrzeug nimmt circa 18 Quadratmeter ein. 23,4 Quadratkilometer sind also dazugewonnene autofreie Räume. Das macht circa 3200 Fußballfelder Platz für Menschen, Marder, Grünflächen und viele weitere Freiräume.
Das Mardermobilisierungstraining hat mir gezeigt: Autofreie Städte sind möglich! Endlich haben wir die Marderbande als unsere klimaaktivistische Komplizin erkannt und können unsere Kämpfe verbinden. Mit geballter marderischer Energie erobern wir alle Städte und holen uns unsere Freiräume zurück!