Der öffentliche Raum ist das wichtigste Gemeingut der Stadt. Als Ort des Handelns, der politischen Meinungsäußerung, der gesellschaftlichen Kommunikation ist er für die Demokratie essentiell. Wir bewegen uns dennoch mit der beiläufigen Ignoranz des Gewohnten in diesen Räumen. Durch eine temporäre Mikroarchitektur auf dem Platz der Demokratie – einer der zentralsten und repräsentativsten Plätze Weimars, aber dennoch ein Raum, an dem man kaum verweilen mag – entsteht ein Ort des neu Wahrnehmens, Mitteilens und Austauschens.
Wetterbedingt musste das Fest der Demokratie abgesagt werden. Die Mikroarchitektur wurde erstatzweise im Foyer der Universitätsbibliothek der Bauhaus-Universität aufgebaut.
Der öffentliche Raum, der geteilte Raum, ist das wichtigste Gemeingut der Stadt
Wir bewegen uns alltäglich im öffentlichen Raum unserer Städte. Mit fast beiläufiger Selbstverständlichkeit nehmen wir Teil am urbanen Leben und sind dabei in Begegnung mit Menschen, Orten oder Atmosphären; Teil unzähliger ineinander verwobener Momente und Interaktionen. Dabei nehmen wir in unserer Teilhabe am öffentlichen Raum durch die vertraute Gewohnheit des Alltags nur Fragmente dieser uns umgebenden, sich überlagernden und in Gleichzeitigkeit stattfindenden Handlungen und Beziehungen wahr.
Das Projekt »Fest der Demokratie« widmet sich eben diesem Verborgenen. Wir wollen dem Alltäglichen einen Moment der Achtsamkeit schenken und dabei in der Auseinandersetzung auf unterschiedlichen Ebenen der Komplexität dessen, was wir öffentlichen Raum nennen einen kleinen Schritt näher kommen. Als Ort des Teilens und Tauschens, des Mitteilens und Austauschens, der Kommunikation und des gesellschaftlichen und sozialen Handelns, lässt er die Stadt zur Stadt werden.
Die Frage nach der Genese der Stadt und ihrem Wesen führt in den Raumwissenschaften häufig weit zurück zu den Anfängen der Menschheitsgeschichte, an den Übergang von nomadischem zu sesshaftem Leben. So formuliert Vilém Flusser:
»nun ist die Niederlassung, das Dorf, Stadt, dadurch gekennzeichnet, dass man dort einerseits sitzt und wartet, und auf der anderen Seite die Gräser sammelt, speichert, verteilt und behütet. Der Sitz und Warteraum heißt der Privatraum, und der Gräserraum (das Kornhaus) heißt der öffentliche.«
Dieses Sinnbild des Kornhauses in welchem die Gräser oder Güter gemeinschaftlich gesammelt, gespeichert und verteilt werden, impliziert zum einen den sozialen, gemeinschaftlichen Charakter des öffentlichen Raumes, der damit auch zum Ort des Austausches und Aushandelns wird. Zum anderen wird bereits hier die enge Verknüpfung von Öffentlichem und Privatem, sowie der Stadt und ihrer Gesellschaft sichtbar.
Der öffentliche Raum als gesellschaftliches Gemeingut ist also nicht nur Ort des materiellen Güteraustausches, der sozialen Organisation. Er ist darüber hinaus ebenso Ort der politischen Repräsentation und Demonstration. Die ersten Stätten der Demokratie, des politischen Tauschens und Teilens, wie die griechische Agora oder das Römische Forum haben ihren Ursprung auf den Plätzen des öffentlichen Raumes. Heute haben sich die Parlamente aus dem frei zugänglichen öffentlichen Raum, der als Fest-, Versammlungs- und Marktplatz nicht exklusiv dem politischen Aushandeln vorbehalten war, in die Mauern politischer Repräsentationsbauten zurückgezogen. Dennoch hat der öffentliche Raum als Ort der Demonstration und Meinungsäußerung noch heute eine wichtige politische Funktion.
Der Philosoph und Raumtheoretiker Henri Lefebvre erläutert in diesen Zusammenhang:
»Die Polis hatte ihre Raumpraxis; sie hat ihren eigenen Raum geschaffen, d.h. ihn angeeignet. Daher rührt die neue Aufgabe, diesen Raum so zu untersuchen, dass er als solcher erscheint in seiner Genese und seiner Form, mit seiner spezifischen Zeit bzw. Zeiten (Rhythmen des Alltagslebens), mit seinen Zentren und seinem Nebeneinandervon Zentren.«
Sprechen wir also vom öffentlichen oder geteilten Raum, dessen Wesen sich in komplexen Wirkungsgefügen zwischen Ort, Zeit, seinen Nutzungen und Nutzenden stetig wandelt und reproduziert, wird deutlich, dass sich der öffentliche Raum nicht in der Dimension des physischen Raumes erschließt, sondern vor allem auch als ein soziales Produkt zu begreifen ist.
Dabei setzt sich das Œuvre, das Gesamtkunstwerk des öffentlichen Raumes sowohl aus unterschiedlichen Bedeutungsebenen als auch verschiedenen Zeiten und ihren Rhythmen zusammen, die unentwirrbar miteinander verwoben sind. So besitzt der öffentliche Raum ein narratives Element welches ihn in jeden Moment der Betrachtung und abhängig von seinem Betrachter einzigartig macht. Lefebvre schreibt über dieses Narrativ:
»In der Tat schreiben sich die Geschichte und ihre Folgen, die Diachronie, Etymologie, d.h. alles das, was dort geschehen ist und dabei Orte und Plätze verändert hat in den Raum ein. […] Aber dieser Raum ist immer noch, heute wie früher, ein gegenwärtiger, als ein aktuelles Ganzes gegeben, mit seinen gerade wirksamen Verbindungen und Vernetzungen.«