(Die Raumstation und der Verkehr)

Die Raumstation und der Verkehr

Das Auto lenkt unser Denken über die Stadt in eine Sackgasse. Deshalb inszeniert das Kollektiv Raumstation die sinnlichen und demokratischen Qualitäten des städtischen Raums und zaubert Bilder einer Stadt mit Platz in die Köpfe.

von Isabel Apel, Gunnar Grandel, Paul Achatz

Projektbeschreibung: Die Raumstation und der Verkehr

Es gibt eine Menge Behauptungen über den Verkehr in der Stadt. Im Auto bewegt es sich einfach am besten fort – dafür sind die Straßen ja da. Wer Bäume, frische Luft und etwas Ruhe haben möchte, muss halt aufs Land fahren. Gegen den Stau auf dem Weg dorthin hilft nur, mehr Straßen zu bauen. Und außerdem sollten alle das Recht auf einen eigenen Parkplatz haben.

Trotzdem – oder gerade deshalb – stellt das Kollektiv Raumstation auch gerne Behauptungen auf. Nämlich solche, die mit tradierten Bildern brechen. Indem wir diese Behauptungen im öffentlichen Raum inszenieren, platzieren wir Visionen und Bilder, über die vielleicht noch nicht nachgedacht wurde. Oder zumindest nicht genug. Auf jeden Fall solche, die üblicherweise in die Schublade der utopischen Ideen gesteckt werden und ansonsten nur zu gern darin verschwinden – denn der Parameter, nach dem der öffentliche Raum gestaltet wird, ist immer noch überwiegend der, mit dem eigenen Auto mobil sein zu können.

Das Kollektiv Raumstation platziert Visionen und Bilder im öffentlichen Raum, über die noch nicht genug nachgedacht wurde – wie hier mit Super Seats, dem “Lieferservice für Ohrensessel.

Und das obwohl die kritischen Punkte des individuellen Autoverkehrs klar auf der Hand liegen: In Wien etwa stehen zwei Drittel des Straßenraums dem Autoverkehr zur Verfügung, obwohl nur ein Viertel der Wege mit dem Auto zurückgelegt werden. Das Auto ist mehr ein Steh- als ein Fahrzeug und nimmt viel zu viel des ohnehin schon knapp bemessenen städtischen Raumes ein. Hinzu kommt die starke Einschränkung der Sicherheit und Gesundheit anderer: In wie vielen Stadtvierteln können Kinder problemlos auf der Straße spielen oder die Bewohner*innen ruhig mit offenem Fenster schlafen? Diese Bedürfnisse fallen weniger ins Gewicht als die individuelle Fortbewegung einer Minderheit auf vier Rädern: Nur 30% der Wiener*innen besitzen ein Auto. Die Mehrheit der Stadt entscheidet sich entweder dagegen oder ist finanziell gar nicht in der Lage, sich PKW, Benzin und Parkplatz zu leisten. Ganz abgesehen davon erfüllt das Auto nicht den Anspruch, den die Klimakrise an unsere Mobilität stellt, und ist also nicht zukunftsfähig.

Unsere Straßen, Plätze und Wege werden auf einen Raum reduziert, den es zu überwinden gilt. Die Fortbewegung wird zu einer Aktivität, die möglichst schnell und reibungslos von statten gehen soll. Zu dieser Reibung gehört aber auch die Konfrontation mit anderen Lebensrealitäten und Universen. Das Auto bedeutet hier auch, sich von der Stadt in ein privates Refugium abzukapseln. Dieser Zustand verhindert, dass der städtische Raum sein volles Potenzial als Ort von Interaktion, Begegnung, Transit und Aufenthalt entfalten kann.

Beim Verkehrsinsel-Resort wird durch ein simples Wortspiel die Verkehrsinsel zur Insel und die Restfläche als Aufenthaltsraum erlebbar – so stellt das Kollektiv Raumstation ganz beiläufig die Normalität der autogerechten Stadt zur Diskussion.

Viele unserer Projekte besetzen deshalb das Erleben des öffentlichen Raumes, auch in der Bewegung, neu. Wenn wir sichtbar machen, wofür Raum anders eingenommen werden kann, dann argumentieren wir für die Vorteile einer autofrei(er)en Stadt. Dabei geht es uns  nicht vordergründig darum, auf einer rationalen Ebene Argumente auszutauschen oder konkrete Forderungen an die Politik zu stellen. Wir nehmen Orte ein, um ihre Besonderheit in den Fokus zu rücken. Am liebsten mit Pauken und Trompeten, mit Sauna und Ohrensessel, mit Ironie und Humor. Oft ist die gängige Vorstellung davon, was eigentlich möglich ist und wie es sich zum Beispiel in einer Straße ohne Autos leben ließe, so weit von unserer jetzigen Realität entfernt, dass es erlebbare Visionen braucht: Wir lassen die Durchreisenden deshalb über ein merkwürdiges Bild stolpern, das sich durch die Hintertür des spielerischen Witzes einen Weg in ihre Köpfe bahnt und dort neue Sichtweisen eröffnet.

In vielen Projekten des Kollektiv Raumstation finden sich dieser starke visuelle Charakter wieder, der mit einem lustvollen Neubesetzen und Erleben des öffentlichen Raumes einhergeht: Die liebevolle Handlung der Zeitausgabestelle, um die Ungleichbehandlung von Verkehrsteilnehmer*innen auszugleichen und Wartezeiten an roten Ampeln neu wertzuschätzen. Die Neuerzählung einer Verkehrsinsel als Urlaubsressort und die damit einhergehende Inbesitznahme von Restflächen zwischen autoannektierten Straßen. Die wiederkehrenden Anregungen zur StVO-konformen Aneignung der Wiener Wohnstraßen mit temporären Wohnzimmern oder einem Lieferservice für gemütliche Ohrensessel.

Für Platz für Wien wurden in Aktionen Protest – etwa gegen unsichere Kreuzungen – damit kombiniert, den neu entstehenden Platz und sein Potenzial greifbar zu machen. Foto: Platz für Wien

Für uns schließt dieser Zugang aber keineswegs explizitere politische Einmischungen aus. Ganz im Gegenteil: Wir suchen Allianzen, in denen verschiedene Ebenen, an gesellschaftlicher Transformation zu arbeiten, ineinandergreifen. Deshalb beteiligten wir uns mit einer festlichen Intervention an einer Kreuzung in Brüssel an einem Treffen verschiedener europäischer Mobilitäts-Aktivist*innen. Deshalb sind wir seit 2019 Teil von Österreichs größter Verkehrsinitiative, Platz für Wien, die Sinnbild für dieses produktive Bündeln von ganz unterschiedlichen Kräften ist. Unsere Erfahrung mit performativen Elementen nutzten wir hier für die Konzeption verschiedenster Aktionen im öffentlichen Raum, die als visuelles Sprachrohr für die politische Forderung nach Umgestaltung dienen – und ohne die keine politische Kampagne machbar wäre.

Mit unseren Projekten setzen wir uns dafür ein, dass die Stadt ihre urbanen Qualitäten richtig entfalten kann – und, dass diese allen zugänglich werden. Die Verkehrsplanung nimmt eine Schlüsselrolle dafür ein, dass wir den städtischen Raum vielfältig und genussvoll erleben statt nur motorisiert durchqueren können.

Dieses Erleben darf aber nicht nur bestimmten Gruppen vorbehalten bleiben: Wir dürfen daher die freiwerdenden Flächen nicht einer neoliberalen Stadtplanung überlassen, die zu Privatisierungen, Kommerzialisierung, verstärkter Überwachung und Verdrängung geführt hat. Der öffentliche Raum muss auch seine demokratische Qualität entfalten können, ganz unterschiedlichen Menschen und Nutzungen Platz für Miteinander und Aushandlung zu bieten.

Uns ist bewusst, dass wir uns als Kollektiv – mehrheitlich weiß, mehrheitlich akademisch – auf eine viel selbstverständlichere Weise im öffentlichen Raum Platz nehmen können als andere. Das bedeutet für uns, mit offenem, kritischen Blick unsere eigenen Projekte zu betrachten und genau zu fragen, für welches “wir” darin Visionen geschaffen werden. Denn der städtische Raum kann erst dann wirklich demokratisch werden, wenn alle am Miteinander und Aushandeln teilnehmen können

Wir finden, dass die sinnlichen und demokratischen Qualitäten des städtischen Raums zusammen gedacht werden müssen. Wir arbeiten an einer Stadt mit Platz – für alle.